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ISAAC BASHEVIS SINGER

 

FEINDE,

 

DIE GESCHICHTE EINER LIEBE

 

Tragikkomisches Gefühlschaos

 

«Für seine eindringliche Erzählkunst, die mit ihren Wurzeln in einer polnisch-jüdischen Kulturtradition universale Bedingungen des Menschen lebendig werden lässt» erhielt laut Jury der in den USA lebende Autor mit polnischen Wurzeln Isaak Bashevis Singer, als bislang einziger jiddische schreibender Schriftsteller, 1978 den Literatur-Nobelpreis. Sein Roman «Feinde, die Geschichte einer Liebe» erschien 1974 in deutschsprachiger Ausgabe, wurde fünfzehn Jahre später verfilmt und 2007 in die SZ-Bibliothek der hundert großen Romane des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Zu Recht?

 

«Wie in den meisten meiner erzählenden Werke wird in diesem Buch ein Ausnahmefall dargestellt – mit einzigartigen Helden und einer einzigartigen Verflechtung der Ereignisse» schreibt der Autor im Vorwort. Sein Protagonist ist der in New York lebende Jude Herman Broder, den Jadwiga, das polnische Dienstmädchen seiner Eltern, drei Jahre lang in einem Heuschuppen vor den Deutschen versteckt hatte. Hermans Frau Tamara und die beiden Kinder wurden nach Zeugenaussagen Opfer der Nazis. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs emigriert er mit Jadwiga in die USA und heiratet sie aus tiefer Dankbarkeit, nicht aus Liebe. Mit der attraktiven Mascha jedoch, einer von ihrem Mann getrennt lebenden Jüdin, hat er eine leidenschaftliche Affäre. Als er zufällig eine Suchanzeige nach ihm selbst in der Zeitung entdeckt und sich meldet, erfährt er, dass Tamara den Holocaust überlebt hat und seit kurzem in New York ist. Er trifft sie, gesteht ihr die Ehe mit Jadwiga und die Liaison mit Mascha. Sie ist sofort bereit, sich scheiden zu lassen, er jedoch zögert. Als Mascha schwanger wird, drängt sie Herman zur Ehe und findet prompt auch einen Rabbi, der nicht viel Fragen stellt. Nun ist Herman mit drei Frauen verheiratet, und seine Jadwiga ist inzwischen auch schwanger. Maschas Schwangerschaft hingegen stellt sich bald als falscher Alarm heraus. Virtuos jongliert Herman als Polygamist in diesem sich immer mehr zuspitzenden Gefühlschaos. Willensschwach, wie er ist, kann er sich aber nicht entscheiden, mag den Status quo ihrer Ménage à quatre nicht ändern. Ist er wirklich Jadwiga zu ewigem Dank verpflichtet? Soll er die von allen Männern begehrte Mascha doch verlassen? Muss er letztendlich zu Tamara zurückkehren? «Ich will alle drei haben, das ist die beschämende Wahrheit». Parallel zur immer unhaltbarer werdenden Situation und zum tragischen Ende wendet sich der Erzählton von verschmitzt humorig zu elegisch traurig.

 

Als dem Grauen des Holocaust entronnener Jude plagt den traumatisierten Herman die Frage, warum Millionen sterben mussten und ausgerechnet er überlebt hat, ein gottloser Hedonist, dem leidenschaftliche Liebe und gutes Essen viel bedeuten und religiöse Pflichten rein gar nichts. Singers Roman führt den Leser tief hinein in das jüdische Leben New Yorks, in das Spannungsfeld zwischen modernem Amerika und tief wurzelnder jüdischer Religiosität. Er brandmarkt zum Brauchtum verkommene jüdische Riten als Folklore, zeigt das skandalöse soziale Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich in diesem Staate auf. Dabei lässt er seinen physisch eher unscheinbaren, fatalistisch eingestellten, tollpatschigen  Helden, dem man den Frauenhelden so gar nicht abnehmen will, viele philosophische Probleme durchdenken, ureigene Reflexionen des Autors, darf man vermuten.

 

Dieser Roman der Verluste - Heimat, Vermögen, Liebe, Selbstvertrauen, - wird von neurotischen Figuren bevölkert, deren emotionale Befindlichkeit eher indirekt, über ein realistisch geschildertes Geschehen, verdeutlicht wird, wobei Singers Sprache angenehm unprätentiös ist. «Ich schäme mich nicht zu gestehen, dass ich zu jenen zähle, die sich einbilden, Literatur könne neue Horizonte und Perspektiven erschließen – philosophische, religiöse, ästhetische und auch soziale» hat er bei seiner Nobelpreisrede bekannt. Nach Lektüre dieses bereichernden Romans wird man ihm darin unbedingt beipflichten!

 

5* erstklassig - Bories vom Berg - 5. März 2017

 

 

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