ARNOLD
STADLER
RAUSCHZEIT
Redundanter
Lebensgefühls-Roman
Das Opus magnum des Büchner-Preisträgers Arnold
Stadler mit dem Titel «Rauschzeit» ist ein Roman ohne Plot, der
allein von seinem eigenwilligen Stil lebt und genau damit eine sehr
konträre Rezeption in Feuilleton und Leserschaft erzeugt hat. Am
Beispiel eines Paares in der Beziehungskrise wird hier resignierend
eine illusionslose Weltsicht thematisiert, die ihr Vorbild in Jean
Paul hat, auf den der Autor in seinem intertextuell reich
ausgeschmückten Roman häufig Bezug nimmt.
Der Buchtitel spielt auf die begrenzte
Paarungszeit der Wildschweine an, die ihre Entsprechung findet im
Sexualverhalten von Alain und Mausi, die eigentlich Irene heißt. Das
in Berlin lebende, kinderlose Ehepaar, beide vierzigjährig und als
Übersetzer tätig, hat sexuell seine «vegetarische Zeit» erreicht,
sie beschimpft ihn, nicht ganz zu Unrecht, als «Waldschrat». Die
sich über zwei Mittsommer-Tage, den 25. und 26. Juni 2004,
erstreckende Handlung ist schnell erzählt: Alain reist zu einem
Symposium nach Köln und trifft dort zufällig nach langer Zeit
erstmals wieder auf seine Jugendliebe Babette. Mausi hat von
Freunden eine Karte für ‹Toska› geschenkt bekommen und fiebert schon
dem Opernabend entgegen, die zweite Karte ging nämlich an einen ihr
unbekannten Dänen, der dann ja neben ihr sitzen wird. Und wie
vorauszusehen finden Alain und Babette wieder zueinander, und Mausi
und der blonde Däne werden ebenfalls ein Paar. So weit, so profan, -
denn mehr ist da nicht! Der Autor hält sich an Mark Twain, den er
häufig mit dem bezeichnenden Satz aus «Huckleberry Finn» zitiert: «Persons
attempting to find a plot in will be shot». Also Vorsicht, verehrter
Leser!
Dem Roman ist mit «Wir wissen wenig voneinander»
ein Zitat von Georg Büchner vorangestellt. Und Arnold Stadler selbst
beginnt seinen sechsteiligen Roman mit den sinnigen Worten: «Was ist
Glück? Nachher weiß man es», den er später immer wieder mal zitiert
und variiert. In oft kurzen, mit ihrem Namen überschriebenen
Kapiteln lässt er jeweils abwechselnd seine zwei Protagonisten zu
Wort kommen, Alain als Ich-Erzähler, die Mausi-Kapitel werden
auktorial erzählt. Nur im vierten Teil schildert Alain unter dem
Titel «Ma vie» auf fast zweihundert Seiten ohne jede Gliederung sein
Leben. Das Besondere daran sind jedoch nicht die Inhalte, die
erzählerisch wenig hergeben, es ist der alle Konventionen negierende
Stil, in dem da erzählt wird. Er ist, typisch für Stadler,
gekennzeichnet durch eigenwillige Sprachbilder, häufige Selbstzitate
und Wiederholungen, aphoristische Irrwege oder Sackgassen und oft
ins Groteske verzerrte Figuren. Und deren ständiger Begleiter auf
ihrer unentwegten Suche nach Glück und Lebenssinn ist der Schmerz,
der in ständigen Vor- und Rückblenden und mit vielen, meist
wörtlichen Wiederholungen thematisiert wird. Besonders der
mutmaßliche Freitod von Mausis bester Freundin, der trucksüchtigen
Fotografin Elfi Rauschzeit (oh wie sinnig, dieser Nachname!) wächst
sich im Roman schon fast zu einer Art Totenklage aus.
Erzählt wird in einer an Neologismen reichen
Sprache, in der das unbekümmerte Wortspiel tragendes Element ist
sowie
die ungehemmte Lust am Verschieben von Buchstaben oder das eifrige
Variieren zusammengesetzter Wörter mit phonetisch ähnlichen. Ein
gleichartiges Spiel wird auch mit ganzen Sätzen veranstaltet, was zu
bestenfalls komischen, aber auch zu oft völlig sinnlosen Aussagen
führt. Befremdlich wirken zudem viele der vom Autor eingestreuten Aphorismen aus eigener Feder, deren tieferer Sinn sich
oft nicht erschließt. «Mein
Leben war eine Vermeidungsstrategie, damit es glückte» wird
da verkündet, oder, ebenso sinnig: «Ich? Ein Joint Venture aus
Schmutzfink und Sprachgitter». Als alles beherrschendes Formschema
aber bläht ausufernde Redundanz die Textmasse des Romans unnötig auf
und ärgert den geplagten Leser. Als
stilistisch holperiger Lebensgefühls-Roman spricht «Rauschzeit»
allenfalls einen äußerst kleinen, esoterischen Leserkreis an!
1* miserabel -
Bories vom Berg - 7. März 2022
© Copyright 2022
|