AN EINEM TAG WIE DIESEM
Mit seinem 2006 erschienenen dritten Roman «An einem Tag wie diesem» hat der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm ein Werk geschaffen, das Kritiker und Leser mit seiner stilistisch zurückgenommenen, verhaltenen Erzählweise ziemlich irritiert hat. Diese sprachliche Reduktion diene dazu, hat der Autor erklärt, die narrativ heraufbeschworenen Bilder realer erscheinen zu lassen, aber auch der Inhalt einer Geschichte dürfe keinesfalls von deren erzählerischer Qualität ablenken. Wirklich?
Andreas, aus einem Schweizer Dorf stammend, ein Junggeselle Anfang vierzig, der seit achtzehn Jahren in Paris als Deutschlehrer arbeitet, ist der Protagonist dieser Geschichte. Die Freude an seinem Beruf hat er allmählich verloren, Paris ist ihm fremd geblieben, er ist bindungsunfähig, äußerst genügsam und lebt so vor sich hin, ein monotones, ereignisarmes, zielloses Leben. Seine zwei Geliebten trifft er regelmäßig jeweils an einem Jour fixe, wobei diese Beziehungen rein sexueller Natur sind, er behandelt die Frauen recht lieblos. Als sein Arzt mit ihm über das Untersuchungsergebnis einer Gewebeprobe sprechen will, verlässt er kurz entschlossen das Wartezimmer. Der starke Raucher fürchtet sich vor der Diagnose, er beschließt resigniert eine Zäsur, will aus seinem bisherigen Leben ausbrechen. Spontan kündigt er in seiner Schule, löst seinen Haushalt auf, verkauft seine kleine Eigentumswohnung, - vom Erlös wird er einige Jahre lang leben können. Und er legt sich einen alten Citroen 2CV zu, das Auto seiner Jugendtage. Als er im Lehrerzimmer seine Sachen zusammenpackt, lernt er die junge Praktikantin Delphine kennen, die sich spontan in ihn verliebt und ihn auf seiner geplanten Autotour begleiten will. Was folgt ist eine Reise in die Vergangenheit, magisch nämlich zieht es Andreas zu jenem Dorf hin, in dem er geboren wurde und wo seine Jugendliebe Fabienne immer noch lebt. Er hat ihr seine Liebe nie gestanden, und sie hat später dann seinen Freund geheiratet.
Trotz der minimalistischen Erzählweise mit kurzen Hauptsätzen, adjektivarm, metaphernlos, uninspiriert, zieht die Geschichte ihre Leser mit, kommt trotz aller Vorhersehbarkeit so etwas wie Spannung auf, man will wissen, wo dieser Selbstfindungstrip letztendlich hinführen soll. Über dem Geschehen liegt eine apathische Stimmung, alles was geschieht ist belanglos und undramatisch. Der Held bleibt dem Leser im besten Falle gleichgültig in seiner emotionslosen Lethargie, die er selbst als Bescheidenheit bezeichnet, er ist und bleibt Unsympath bis zum eher kitschigen Ende. Völlig unplausibel aber ist, wie denn ein derart blutleerer Typ, teilnahmslos, ohne erkennbare Leidenschaft oder gar sexuelle Gier, die Frauen so scheinbar mühelos erobern kann. Selbst seine Traumfrau Fabienne lässt sich mal eben zwischendurch auf einer hölzernen Aussichtsplattform von ihm vernaschen, - das erste und das letzte Mal zugleich, ihre Ehe steht nicht zur Disposition, sie ist glücklich verheiratet. Und Delphine, die er ungerührt fortgeschickt hat, lächelt ihn beim kinoartigen Showdown mit Sonnenuntergang am Meer glücklich an, als er, ihr nachreisend, sie auf einem Campingplatz wieder findet, - auch seinen Arzt will er nun endlich mal anrufen!
Sinnverlust, Burnout, Midlifecrisis, die Panik vor einem unerfüllten oder gar ungelebten Leben ist zweifellos ein ergiebiges und hoch interessantes literarisches Thema. So ist dem Roman denn auch ein Zitat von Georges Perec vorangestellt: «Es ist ein Tag wie dieser hier, ein wenig später, ein wenig früher, an dem alles neu beginnt, an dem alles beginnt, an dem alles weitergeht». Ein berühmter Lebensverweigerer in der Literatur ist auch der Ulrich in Musils Roman «Der Mann ohne Eigenschaften», wo der Held an der schieren Überfülle von Möglichkeiten scheitert. Leidenschaft allerdings, die in Peter Stamms Roman nicht mal ansatzweise vorkommt, kann man dem Ulrich nicht absprechen, seine Liebe zur Schwester gipfelt schließlich im Inzest.
2* mäßig - Bories vom Berg - 28. Januar 2018
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