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COLM TÓIBÍN

 

DER ZAUBERER

 

Porträt eines Großschriftstellers

 

Mit dem neuen, lang geplanten Roman «Der Zauberer» hat der irische Schriftsteller Colm Tóibín der Lichtgestalt Thomas Mann literarisch ein weiteres Denkmal gesetzt, indem er dessen Vita als Roman erzählt, also fiktional ausgeschmückt und in unterhaltsamer Form. Vieles davon dürfte dem Lesepublikum bekannt sein, die entsprechenden Veröffentlichungen jedenfalls sind Legion. Das reicht von dem prächtigen Bildband «Heller Zauber» über seine Münchner Jahre bis hin zur amüsanten Erzählung «Königsallee», in der eine Lesung des «Felix Krull» in Düsseldorf satirisch geschildert wird. Als vollständige Biografie in Romanform dürfte dieses Buch allenfalls für all jene interessant sein, die nur wenig über den Nobelpreisträger von 1929 wissen.

 

Früher Erfolg 1901 mit den «Buddenbrooks», Umzug aus der Heimatstadt Lübeck nach München, Hochzeit ebendort mit Katja Pringsheim, Riesenerfolg mit «Der Zauberberg», Nobelpreis, Flucht ins Exil, Übersiedlung in die USA, missglückte Rückkehr nach dem Krieg, Alterssitz am Zürichsee. Das sind die wichtigsten Eckdaten aus der Vita dieses «Großschriftstellers», wie Brecht ihn tituliert hat, denen dieser Künstler-Roman, mit nur wenigen Rückblenden, chronologisch folgt. In der ersten Hälfte schildert der Autor die Lebens-Stationen des Romanciers ziemlich nüchtern und nahe an den Fakten. Fiktional deutlich mehr ausgeschmückt und für den Leser damit auch unterhaltsamer wird es dann in der zweiten Hälfte des Romans, wo die Familie mehr in den Vordergrund gerückt ist. Und allein diese Familie mit der brasilianischen Großmutter und dem früh verstorbenen Lübecker Senator, dem sechsfachen Kindersegen der Manns und den diversen Enkeln gäbe genug Stoff her für einen Roman. Der Dauerzwist zwischen TM und seinem Bruder Heinrich, die ‹schwierigen›, unkonventionellen ältesten Kinder Klaus und Erika, allesamt ebenfalls schriftstellerisch tätig, bieten jedenfalls genügend erzählerisches Material. Das nutzt Colm Tóibín fiktional denn auch reichlich für funkelnde und oft amüsante Dialoge seiner intellektuellen Protagonisten, allen voran die aus dem Munde der schlagfertigen und lebensklugen Katja, die letztendlich alles zusammenhält.

 

Man könnte denken, so wie es der Roman schildert, muss es gewesen sein, derart nahtlos und scheinbar stimmig wird hier eine interessante Lebensgeschichte erzählt. Dominantes Charakteristikum des Helden ist seine schon in der Jugend erkennbare Selbstbefasstheit, die auch der Roman deutlich aufzeigt. Aber der Autor setzt darüber hinaus erzählerisch Akzente, die denn doch fragwürdig erscheinen. Dazu zählt insbesondere die latente Homosexualität von TM, die einen viel zu breiten Raum einnimmt. Demgegenüber wird die literarische Seite dieses Schriftstellers geradezu stiefmütterlich behandelt, vor allem was sein Werk anbelangt, aber auch den Austausch mit schreibenden Kollegen. Hier werden stattdessen nur ständig Äußerlichkeiten wie das geradezu sakrosankte Arbeitszimmer beschrieben. Auch die politische Seite von TM, der lange zögernd sich erst spät gegen die Nazis gestellt hat, kommt hier entschieden zu kurz.

 

Es ist sicher ein kühnes Unterfangen, einen so herausgehobenen deutschen Schriftsteller für eine englischsprachige Leserschaft porträtieren zu wollen, die allenfalls rudimentär vertraut ist mit den Hintergründen. Mit der hanseatischen Herkunft also, dem Bruderzwist oder den politischen Bedrängnissen, während der Nazidiktatur wie auch im geteilten Deutschland. Aber wen wundert’s, es geht deutschen Lesern ja oft nicht anders mit dem lückenhaften Verständnis-Hintergrund für typische Werke der englischen Literatur! Der Buchtitel bezieht sich auf den Spitznamen, den die Kinder ihm gegeben haben, weil er sie bei Tisch oft mit Zaubereien verblüfft hat. Dass TM auch literarisch gezaubert hat, kommt hier allerdings deutlich zu kurz. Er solle Emotionen transportieren, hat Colm Tóibín über seinen Roman gesagt, und das zumindest ist ihm denn auch gelungen.

 

3* lesenswert - Bories vom Berg - 14. Januar 2022

 

 

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