AQUARIUM
Der in Alaska geborene Schriftsteller David Vann thematisiert auch in seinem zweiten, auf Deutsch erschienenen Roman «Aquarium» wieder gestörte Familienverhältnisse, die er erzählerisch hart, fast brutal zuweilen, aufdeckt und demaskiert, unübersehbar beeinflusst durch eigene Lebenserfahrungen. Wobei er hier, anders als bisher, der Düsternis seiner abgründigen Geschichte durch ein unerwartetes Ende überraschend eine eher versöhnliche Note gibt. Wie stilsicher der amerikanische Autor vorgeblich zu schreiben vermag, ergibt sich aus seinem Statement in der Financial Times vom 22. April 2017, er überarbeite keine Zeile seines Manuskriptes. Man darf als stilistisch orientierter Leser, zu denen ich mich unbedingt auch zähle, also gespannt sein auf das sprachliche Niveau dieses Romans.
Die problematische Familie besteht hier aus einer allein erziehenden Mutter Mitte dreißig mit ihrer zwölfjährigen Tochter Caitlin, deren Lieblingsbeschäftigung schon im Romantitel steckt, sie hat eine Dauerkarte für das Aquarium von Seattle. Dort wartet sie nach der Schule oft stundenlang auf ihre Mutter, die sie abends mit dem Auto abholt. Bei ihrem schlecht bezahlten, harten Job im Hafen aber, - anstrengende Verladearbeiten im Freien zwischen Containern und Kränen -, muss die Mutter häufig länger arbeiten und kommt oft erst spät zum Aquarium. Die beiden leben in prekären Verhältnissen, in einer heruntergekommenen kleinen Wohnung ohne jeden Komfort. Aber sie sind glücklich miteinander, sie lieben sich inniglich. Zu Beginn des Romans taucht ein neuer Lover der Mutter auf, Steve, ein lustiger, Mundharmonika spielender IT-Experte. Im Aquarium lernt das junge Mädchen schließlich einen alten Mann kennen, der ihre Begeisterung für die Fische teilt, stundenlang stehen die Beiden nun jeden Nachmittag dort und beobachten staunend die unglaubliche Vielfalt der Meeresbewohner. Als die Mutter von dieser neuen Freundschaft erfährt, wittert sie einen Kinderschänder in dem alten Mann und schaltet die Polizei ein.
Unglaublich raffiniert rollt David Vann hier ganz allmählich eine abgründige Familiengeschichte vor dem Leser aus, die zwanzig Jahre zurückliegt und deren bisher niemals verarbeitete, fürchterliche Tragik nun umso schlimmer wiegt. Man kann das damals Geschehene nicht rückgängig machen, man kann das Ungeheuerliche auch niemals verzeihen, darin liegt das Beklemmende von Vanns Story, ein unlösbares Dilemma seiner Protagonisten. Das aus der Ich-Perspektive der Zwölfjährigen schonungslos erzählte Ungeheuerliche wird immer wieder durch berührende Szenen der kindlich naiven Begeisterung für das Aquarium aufgebrochen. Dem besonders in der zentralen Schlüsselszene brutal zum Ausbruch kommenden Wutexzess, alles beherrschendes Element dieser spannenden Geschichte, werden damit also sanfte Töne abmildernd gegenüber gestellt.
Sprachlich ist der Roman den verbalen Ausdrucksmitteln seiner kindlichen Ich-Erzählerin angepasst, mit leicht lesbaren, kurzen, einfach strukturierten, gleichwohl metaphernreichen Sätzen. Angenehm gewürzt zudem mit einer kräftigen Prise Ironie, die vor allem in den stimmigen Dialogen zum Ausdruck kommt. Die wenigen Figuren sind glaubwürdig angelegt, es entsteht schnell Empathie zu ihnen. Lobenswert ist auch die scharfe Beobachtungsgabe des Autors, die sich besonders in den Aquarium-Szenen artikuliert. Der durchaus antiken Tragödien gleichende, familiäre Konflikt um Schuld, Vergebung, Wiedergutmachung, um Aufopferung und Liebe wird in diesem Roman bewundernswert locker, fast lässig verbalisiert. In bester amerikanischer Erzähltradition unterhaltend, immer zweckmäßig, geradlinig, ohne Schnörkel, ohne Pathos. Gleichwohl steuert diese Geschichte zielsicher auf eine Katharsis hin, -«Unwiederbringlich» lautet das fontanesche Stichwort -, auf ein kleinbürgerliches Idyll auch noch, womit David Vann denn doch recht konventionell bleibt, ein zeitgenössischer Autor also, der sich nichts traut, kein postmoderner.
3* lesenswert - Bories vom Berg - 17. Mai 2018
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