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NORBERT ZÄHRINGER

 

WO WIR WAREN

 

Zum Träumen einladend

 

Mit der Nominierung des Romans «Wo wir waren» für den deutschen Buchpreis 2019 hat Norbert Zähringer seine bislang größte Anerkennung als Schriftsteller gefunden. In diesem fünften Roman erweist er sich erneut als ein Autor, der sein ausuferndes erzählerisches Material virtuos in verschiedene Handlungsfäden zu überführen versteht. Es ist mal wieder ein Pageturner, perfekt konstruiert, den er da geschrieben hat, argwöhnisch beäugt vom Feuilleton, das ihn als thematisch überfrachtet hart am Rande des Kitsches verortet.

 

Narratives Zentrum des weitverzweigten Handlungs-Geflechts ist die Mondlandung 1969. Der Protagonist Hardy Rohn, dessen Leben den dominanten Handlungsfaden des Romans bildet, damals fünf Jahre alt, flieht in dieser Fernsehnacht aus einem schrecklichen Waisenhaus. Als er in aller Frühe plötzlich am Fenster des Science-Fiction-Autors Walther auftaucht, der euphorisch eine Mondlande-Party vor seinem Fernseher veranstaltet, nehmen sich Nachbarn spontan des Jungen an. Ein Jahr später adoptiert das kinderlose Paar den schweigsamen Hardy, und er erweist sich schon bald als wahres Wunderkind. Der ein ganzes Jahrhundert umfassende, vielschichtige Plot vereint so unterschiedliche Themen wie die Weltraumfahrt, die Gräuel zweier Weltkriege, Entdecker-Freude, Globetrotter-Sehnsüchte, Vietnamkrieg, die Dotcom-Blase und anderes mehr, aber eben auch so Banales wie das Spießertum in der Reihenhaus-Siedlung mit akkurat gestutzten Buchsbaum-Hecken. Hardys Mutter, die ihn im Zuchthaus geboren und sofort zu Adoption freigegeben hat, verbüßt eine lebenslängliche Strafe wegen Doppelmordes, sie erzählt in einem längeren Kapitel dem Psychiater in der Forensik ausführlich ihre tragische Geschichte. Mit großen Zeitsprüngen wechseln auch die Handlungsorte, vom beschaulichen Kleinstadtidyll im Rheingau ins Silicon-Valley, wo der von einem unbändigen Forscherdrang getriebene Hardy eine kometenhafte Karriere zuerst mit Computerspielen und dann mit einer neuartigen GPS-Software hinlegt. Mit einer Viertel-Milliarde Dollar als Erlös für seine von der Konkurrenz übernommene Firma sinnt der nimmermüde Tüftler und Entdecker auf neue Taten. Sein Lebenstraum, in das Weltall zu fliegen, scheint durch die Absicht der Russen realisierbar, private Gäste für läppische 25 Millionen Dollar an einem Raumflug teilnehmen zu lassen, Hardy bucht als Erster.

 

In eine überaus spannende, turbulente Geschichte, der man atemlos folgt, wurde hier sehr viel Weltgeschehen hinein gepackt. Über Raum und Zeit hinweg jagt dieser Roman, von Cliffhanger zu Cliffhanger, durch seine vielen episodisch erzählten Szenen. Ein stimmig geschildertes, vielköpfiges Figuren-Ensemble ist dabei in allerlei schicksalhafte Situationen verstrickt. Jeder sucht sich auf seine Weise zu verwirklichen, seinen ureigenen Weg zu finden in einem ebenso durch Zufall wie durch Vorprägung bestimmten Leben. Es geht um die Essenz menschlichen Daseins, die Norbert Zähringer anhand seiner unterschiedlichste Typen verkörpernden Figuren dahingehend deutet, dass sie ganz einfach in der ungeheuren Vielfalt der Möglichkeiten liegt. Seine permanenten Rückblenden unter dem Motto «Wo wir waren» verdeutlichen anschaulich diese These.

 

Es ist ein ironisches Märchen für Erwachsene, das den Leser hier mit einer abenteuerlichen Fülle von wundersamen Zufällen und glückhaften Wendungen bei Laune hält, so er denn bereit ist, die zahlreichen Klischees unkritisch zu akzeptieren als unverzichtbare Bestandteile von Märchenhaftem. Der in einem flüssig lesbaren Stil geschriebene Roman führt leichtfüßig durch ein komplexes Handlungs-Dickicht, in dem alles mit allem zusammen zu hängen scheint, er überwindet spielend kulturelle Grenzen und lädt ungeniert zum Träumen ein. «Vieles ist unwahrscheinlich, aber wenn wir nur an das Wahrscheinliche glauben, dann kommen wir nicht weit» heißt es im Roman. Und genau so sollte man auch als Leser herangehen an diese zum Träumen einladende Geschichte!

 

3* lesenswert - Bories vom Berg - 10. Februar 2021

 

 

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