SIEBENTÜRMEVIERTEL
Schlechte Übersetzung aus dem Türkischen?
Feridun Zaimoglu, Schriftsteller mit türkischen Wurzeln, hat in seinem zeitlich perfekt auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 erschienene Roman «Siebentürmeviertel» die Migration aus reziproker Sicht dargestellt. Der sechsjährige Wolf nämlich, der seine Mutter früh verloren hat, muss 1939 mit seinem Vater vor den Nazis aus Deutschland fliehen. Sie finden Aufnahme bei einem ehemaligen Kollegen des Vaters im titelgebenden Istanbuler Stadtteill, einem Schmelztiegel von Türken, Armeniern, Tschetschenen, Griechen, Juden, Zigeunern und anderen Ethnien.
Bald jedoch stellt sich die als vorübergehend gedachte Einquartierung als längerfristig heraus, der Zweite Weltkrieg zieht sich hin, an eine Rückkehr ist nicht zu denken. Als schließlich Gerüchte aufkommen, der verwitwete junge Deutsche habe ein Verhältnis mit der selbstbewussten Tochter des Hauses, geht Wolfs Vater mit Rücksicht auf die Familienehre seiner Gastgeber nach Ankara, er hat dort eine Stellung als Übersetzer gefunden. Wolf ist fortan als Ziehsohn in die Familie aufgenommen, er kommt in die Schule, gewinnt schnell Freunde im Viertel und weiß sich zu behaupten bei den Jugendlichen, die ihn immer nur «Arier» oder «Hitlersohn» nennen. In seinem Roman schildert Feridun Zaimoglu das quirlige, raue Leben in diesem prekären Stadtteil in allen seinen Facetten. Er beleuchtet diesen spannungsgeladenen, von Rivalitäten geprägten, stets gewaltbereiten multiethnischen Mikrokosmos aus der Sicht seines kindlichen Ich-Erzählers. Dabei spielt der Plot praktisch keine Rolle. Was da in 99 Kapiteln geschildert wird, die allesamt mit den schönsten, im Koran vorkommenden Namen Allahs betitelt sind, das mutet an wie der kühne Versuch, zusammenhanglos alles und jeden zu beschreiben, - der Anhang zählt allein 77 Figuren auf. Genau in der Mitte dieses dickleibigen Buches springt die Erzählung ins Jahr 1949, Wolf ist in der Adoleszenzphase, geht auf eine höhere Schule in einem besseren Viertel, hat erste Kontakte zum anderen Geschlecht. Allmählich durchschaut er auch die zwielichtige Rolle, die sein Ziehvater im prekären Siebentürmeviertel spielt und die sogar Wolf selbst gefährlich zu werden droht.
Während dieser üppige, arabeskenreiche Roman unermüdlich versucht, das turbulente, oft geheimnisvolle Geschehen mit seinem bunten Figurenensemble in immer neuen Szenen dem Leser nahe zu bringen, gerät der an die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit und ermüdet von Seite zu Seite mehr. Daran ist nicht allein das trotz Personenverzeichnis kaum überschaubare, monströse Panoptikum obskurer Figuren schuld, sondern und vor allem ein Erzählstil, der sprachlich wie eine schlechte Übersetzung aus dem Türkischen wirkt, - obwohl der Verfasser sein Buch ja in Deutsch geschrieben hat. Man fühlt sich von Anfang an unbehaglich in diesem sprunghaften, hölzern klingenden Erzählstrom mit seinen zumeist an den Haaren herbeigezogenen Metaphern, und das ändert sich auch bis zur letzten Seite nicht, so man die denn überhaupt erreicht. Zur Verdeutlichung der Empfindungen eines Zugewanderten in fremder Umgebung ist diese oft sehr deftige Kunstsprache kaum geeignet, sie erscheint viel zu gedrechselt dafür, vor allem im ersten Teil mit seinem sechsjährigen Ich-Erzähler. So geschwollen, in Gleichnissen zuweilen, redet kein Kind! Was der Autor damit bezweckt, hat sich mir nicht erschlossen.
Auch das soziale Milieu des Siebentürmeviertels wird durch die drastischen Schilderungen von roher Gewalt, Blutrache, Krüppeln, Getier, Unrat und Gestank nicht glaubhaft und anschaulich verdeutlicht, naive Mythen zudem und allgegenwärtiger Aberglaube sind im Erzählten nur angedeutet und kaum erkennbar in die Geschichte integriert. Weder das fremdartig schillernde Istanbul noch die politischen Zeitläufte werden thematisiert, lediglich ein archaischer, unverständlich bleibender Mikrokosmos erwartet den - ob des Romantitels erwartungsvollen - Leser. Dieser Roman ist gründlich misslungen!
1* miserabel - Bories vom Berg - 5. April 2020
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