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MARCEL BEYER

 

KALTENBURG

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Nur für Ornithologen

 

Der Büchner-Preisträger Marcel Beyer hat in seinem Roman «Kaltenburg» eine Romanfigur erschaffen, die entlang seinem realen Vorbild Konrad Lorenz das Leben eines fanatischen Ornithologen und Verhaltensforschers namens Ludwig Kaltenburg abbildet. Mit wenigen Figuren in Szene gesetzt, wird dessen Werdegang vor dem erzählerisch hier eher unbedeutenden, historischen Hintergrund von Nazi-Diktatur und DDR-Regime geschildert. Die Vogelwelt allein bildet nämlich den Lebens-Sinn dieses geradezu besessenen Wissenschaftlers, ein Privatleben kennt er nicht.

 

Als Ich-Erzähler berichtet ein pensionierter Zoologe namens Hermann Funk, dass ihn eine Dolmetscherin zur Vorbereitung auf einen Ornithologen-Kongress in Dresden um Hilfe gebeten habe. Bei dieser Gelegenheit erzählt er ihr dann auch aus seinem Leben, welches stark von Professor Kaltenburg geprägt war, dem Initiator der Ornithologischen Sammlung. Auch nach dem Kongress bleiben sie weiter in Verbindung, ihre Gespräche dienen dem Roman als immer wieder eingeblendetes, loses Handlungs-Gerüst. Der Professor aus Königsberg hat Hermann, den Sohn eines Botanikers, 1942 als Kind bei seinen Eltern kennen gelernt und ihm die Vogelwelt näher gebracht. Zum Kreis der Gäste gehörten später auch Student Knut sowie Martin, der als begnadeter Künstler die Tiere in Bildern verewigt hat. Auf der Flucht vor der Roten Armee machten Hermann und seine Eltern in Dresden Station, die verheerenden Bombenangriffe Mitte Februar 1945 überlebten die Eltern jedoch nicht. Nach dem Krieg erhielt Prof. Kaltenburg, der den bei Pflegeeltern großgezogenen Hermann unter seine Fittiche genommen hatte, einen Ruf nach Leipzig. Außerdem sollte er in Dresden ein ornithologisches Institut aufbauen. Er verschaffte Hermann einen Studienplatz und gehörte bald auch zu einem Kreis um dessen Freund Martin. Der war mit Ulrike befreundet, deren Schwester Klara, eine glühende Proust-Verehrerin, später dann Hermanns Frau wird.

 

Angesichts der Fülle von ornithologischen Details und dem breiten Raum, den dieses Fachgebiet im Roman einnimmt, sind die niemals wirklich zu Ende erzählten politischen Hintergründe nur Marginalien. Da wird von SS gemunkelt, von einer NSDAP-Mitgliedschaft Kaltenburgs. Das Verschwinden von Hermanns Kindermädchen wird mit dem Holocaust in Verbindung gebracht, der Chauffeur des Professors ist ein Stasi-Spitzel, aber ein harmloser. Auch psychologisch läuft die Erzählung leider auf Sparflamme, Liebe kommt nicht vor, kaum ein Wort über die Beziehung zu Klara, Kaltenburg schließlich lebt allein, nichts Genaues weiß man nicht. Dafür wird jeder Vogelschiss registriert, jedes Krächzen der Dohlen, jeder Flügelschlag. Die Recherche-Leistung des Autors ist fürwahr beachtlich, man erfährt Vieles aus der Vogelwelt und erhält Einblick, wie in diesem Wissenschafts-Zweig gearbeitet wird. Beobachtung steht da an allererster Stelle, in der Natur wie in der Voliere oder, wie beim Professor, in der nicht nur von Vögeln okkupierten Dienstvilla.

 

Stilistisch ist der Roman durch seinen unzuverlässigen Ich-Erzähler geprägt, dessen Leben, neben dem Kaltenburgs, den zweiten Erzählpfad bildet. In den vielen Rückblenden des Pensionärs ergeben sich so manche Leerstellen, schleichen sich Zweifel ein, erscheinen Ereignisse nachträglich in einem anderen Licht. In der eindrucksvollsten Szene des Romans wird gleich zu Beginn beschrieben, wie er als Kind den Bombenhagel auf Dresden im Großen Park inmitten grauenhaft zugerichteter Leichen erlebt. Wenig überzeugend in diesem Roman-Konstrukt hingegen ist die Figur der nur als Stichwortgeberin fungierenden Dolmetscherin, und auch die häufig eingebaute Proust-Begeisterung von Klara ist ohne jeden Bezug zum Rest. Größtes Manko aber ist die Flut akademischer Vogelkunde, mit der hier alles andere zugeschüttet wird. Blutleere Figuren, keine wirkliche Handlung, keinerlei Spannung, was soll dem Leser denn eigentlich gefallen an diesem Roman, wenn er nun mal kein Ornithologe ist?

 

2* mäßig - Bories vom Berg - 2. Juli 2021

 

 

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Ruprecht Frieling

Respekt. Du hast dich durch 448 Seiten gequält. Nach der Lektüre der ersten Kapitel habe ich zwar alles über die Schreckmauser und die Gefährdung der Tannenmeise durch Erdstöße erfahren. Der Porträtierte selbst blieb seltsam blass. Deshalb habe ich aufgegeben und ein anderes Buch aufgeschlagen …

 

Antwort

Ich gebe (fast) nie auf, manchmal kommt ja doch noch was. Und auch schlechte Bücher erweitern meinen Lesehorizont, sie helfen mir außerdem, meine Bewertungs-Skala permanent nachzujustieren.

 

Aber ganz aktuell habe ich dann doch mal kapituliert, hier müsste jetzt nämlich die Rezension von Reinhard Jirgls Roman «Die Stille» stehen. Dessen abartiger, eigensinniger Schreibstil hat meine Toleranzschwelle allerdings deutlich überschritten, diese Lektüre wäre rein vom Lesen her wirklich Quälerei geworden! Und so habe ich denn zu «Kaltenburg» gegriffen, stilistisch keine Quälerei, nur eben inhaltlich sehr enttäuschend.

 

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