TRAUMPFADE
Es gibt Bücher, mit denen man partout nichts anzufangen weiß, die einem irgendwie nicht liegen, der Thematik oder Erzählweise, zuweilen aber auch der Botschaft wegen, die sie transportieren sollen. Bruce Chatwins mit allerlei Reflexionen angereicherter Reisebericht «Traumpfade», nach seinem Erscheinen 1987 zum Bestseller avanciert, gehört für mich persönlich eindeutig zu dieser unerquicklichen literarischen Spezies. Für Globetrotter sicherlich interessant, bietet dieses Buch, das Vieles ist, nur kein Roman, trotz etlicher Informationen über die eingeborene Bevölkerung eines fernen Kontinents den übrigen Lesern literarisch rein gar nichts. Weder eine interessante Handlung noch sympathische Figuren, deren Erlebnisse erzählenswert wären oder mit denen man sich irgendwie identifizieren könnte. Es bietet leider auch keine sprachliche Könnerschaft oder einen kreativen Schreibstil, womit das Lesen ja per se zu einem Genuss werden kann. Wer also nicht gerade australophil ist, dessen Geduld mit dem englischen Autor wird 368 Buchseiten lang auf eine harte Probe gestellt.
Im ersten Teil erzählt Chatwin fiktional angereichert von seinen Erlebnissen in Australien, dem fünften Kontinent, der es ihm ganz besonders angetan hat. Zu Beginn schildert er das Zusammentreffen mit Arkady Wolschock, einem russischstämmigen Wissenschaftler, der für eine Eisenbahngesellschaft tätig ist und als Kontaktmann zu den Aborigines fungiert, um mit ihnen die Trasse einer neu zu bauenden Schienenstrecke abzustimmen. Der Autor schließt sich ihm an, begleitet ihn auf seinen Reisen und lernt so die Mythen der Eingeborenen kennen, deren Traumpfade auf uralten Überlieferungen beruhen. Sie nennen sie Songlines, Wege also, die man singen kann, die magische Punkte berühren, von den Aborigines wie Heiligtümer verehrt, da sie den Entstehungsmythos vieler gottähnlicher Kreaturen verkörpern. Auf diesen Fahrten treffen die Beiden mit vielen Eingeborenen zusammen, deren prekäre Lebensumstände einem Europäer eigentlich als unerträglich erscheinen müssten. Seltsamerweise hält sich der Autor aber mit einer Anklage der britischen Kolonialherren ziemlich zurück, obwohl hier eine ebenso rücksichtslose Unterdrückung und auch Ausrottung der indigenen Bevölkerung stattgefunden hat wie in Asien, Afrika oder Amerika.
Chatwins besonderes Thema, ja geradezu sein Herzensthema, ist das Nomadentum, für das er sich maßlos begeistern kann und dem er kritisch immer wieder das Leben des modernen Menschen gegenüberstellt. Er führte selbst ein unstetes Leben mit ausgedehnten Reisen, fühlte sich als Autodidakt wohl auch ein bisschen wie ein Privatgelehrter, der mit Konrad Lorenz Gespräche führte und mit vielen Fachleuten auf dem Gebiet der Kulturanthropologie zusammentraf. Seine detaillierten Beschreibungen eines für die meisten Leser völlig fremden, fernen Kontinents mit seiner exotisch anmutenden Flora und Fauna erklärt die große Popularität, die er in dafür empfänglichen Leserkreisen genießt, viele der Lobeshymnen zeugen davon.
Die zweite Hälfte des Buches unter dem Titel «Aus den Notizbüchern» ist eine ebenso kuriose wie überflüssige, bruchstückhafte Sammlung von Zitaten, Aphorismen und Notizen des Autors, mit denen er unverdrossen seine Botschaft zu ergänzen und zu untermauern sucht. Da findet sich dann beispielsweise zum Thema Knochenfunde von Hominiden Tiefsinniges wie: «Wenn bewiesen werden könnte, dass sie von anderen Hominiden in die Höhle gebracht wurden, würden diese sich der Anklage wegen Mordes und Kannibalismus stellen müssen. Wenn nicht, nicht.» Wow! Vom Gilgamesch-Epos bis zu Hitlers Refugium bei den Nürnberger Parteitagen, gipfelnd in der These vom Songline-Urmodell für alle nachfolgenden Systeme, es wimmelt nur so von populärwissenschaftlichem Nonsens. So was kann erheiternd sein, ist es hier nun aber wirklich nicht, - schade also um die verlorene Zeit, in der man ja auch einen richtigen Roman hätte lesen können, womöglich sogar einen guten!
1* miserabel - Bories vom Berg - 14. August 2015
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