TRISTAN GARCIA
FABER
Vom
Wunsch nach intensivem Leben
Schriftsteller und Philosoph in einem ist der junge
Franzose Tristan Garcia, dessen neuer Roman «Faber» nicht nur formal ein
Meisterwerk ist als furioses Spiel mit Erzählperspektiven und
Zeitebenen. Die in sechzig Kapiteln erzählte Story ist in ihren zwei
retrospektiven Teilen die Coming-of-Age-Geschichte eines charismatischen
Schülers und seiner beiden Freunde, die in ihrer Rebellion gegen die
dröge Mittelmäßigkeit der Gesellschaft ein unzertrennliches Trio bilden.
In die narrativ als Klammer fungierende, in der Gegenwart angesiedelte, dreiteilige
Handlung,
deren fesselndes Thema eine späte Rache ist, schieben sich zunehmend
phantastische Elemente hinein, der Unruhestifter mit immanentem
Todestrieb mutiert zum Dämonen, er wird «Der Zerstörer», wie es im
Untertitel heißt.
Mehdi Faber, ein Waise maghrebinischer Herkunft,
kommt als Neuer in eine Klasse der Schule einer fiktiven französischen
Kleinstadt. Der ebenso intelligente wie unnahbare Junge, der darauf
besteht, nur Faber genannt zu werden, brilliert als Schüler und mischt
völlig unerschrocken auch die Strukturen der herrschenden Hackordnung im
Schulhof auf. Als Rebell, den eine geheimnisvolle Aura umgibt, wird er
schnell zur unumschränkten, von allen bewunderten Führungsfigur unter
den Pennälern, eine Lichtgestalt geradezu. Zwei Außenseiter, die toughe
Madeleine und der schüchterne Basile, helfen ihm anfangs dabei, in ihrer
Adoleszenzphase bilden sie mit ihm eine sich ergänzende und wie Pech und
Schwefel zusammenhaltende Clique, ein Trio mit dem intellektuell
deutlich überlegenen Faber als Mentor. Im zweiten der beiden
retrospektiven Teile des Romans eskaliert das Geschehen in einer offenen
Rebellion, bei der 1995 unter Fabers Führung die während längerer
Streiks und öffentlichem Tumult von Schülern besetzte Schule zur
«Autonomen Zone» erklärt wird. Als diese Unruhen ihr Ende finden und die
Besetzung schließlich aufgegeben werden muss, flieht Faber für immer aus
der Stadt.
Der in fünf Teilen zeitlich verschachtelt und
abwechselnd aus der Ich-Perspektive seiner drei Protagonisten erzählte
Plot beginnt mit «Er kommt zurück», in dem die inzwischen verheiratete
Madeleine den seit fünfzehn Jahren verschwundenen, total verwahrlosten
Faber aus seinem Versteck in den Pyrenäen zurückholt in ihre Kleinstadt.
Basile und sie hatten Briefe mit einem geheimnisvollen Code von Faber
erhalten, der einst zwischen ihnen verabredet wurde als Signal, wenn
einer je Hilfe bräuchte. Im mittleren Teil «Er ist da» kommt es zu
Problemen mit dem unzugänglichen, total verrückt wirkenden Faber, der
sich nach dieser langen Zeit nicht mehr zurechtfindet in seiner Stadt,
dem auch die inzwischen angepasst lebenden Gefährten von einst fremd
geworden sind. Im letzten Teil «Er geht fort» kommt es zu einem
rätselhaften, mystischen Showdown. Mehr soll hier aber nicht verraten
werden von dieser äußerst spannenden Geschichte, - in der auch gemordet
wird übrigens!
Am Ende tritt überraschend Tristan Garcia in persona
auf und berichtet davon, dass er das Manuskript eines Romans von Basile
gefunden habe, welches von ihm leicht überarbeitet genau den Text
darstelle, den der Leser da gerade in Händen halte. Und er sinniert:
«Wie der Gott der Christen eines Tages Mensch geworden ist, so hat
vielleicht der Teufel eines Tages einen Körper und einen Geist gefunden.
Er war nicht das Böse an sich, aber der Verfall und die Zerstörung, für
die anderen und für sich selbst. Von diesem Standpunkt aus kann man
annehmen, Faber sei ein Teufel wider Willen, eine vollkommen negative
Macht, aber in menschlicher Gestalt». Das verfehlte Leben der
Protagonisten ist Auslöser für ein bedrückendes Geschehen, das, im Stil
der «Fantastischen Literatur» erzählt, von seinem Autor in einem
Schwebezustand belassen wird. Der wiederum dem Leser viel Freiraum gibt
beim Nachsinnen über das Gelesene, über Utopien, - und über den
hoffentlich nicht ganz utopischen Wunsch nach intensivem Leben.
5* erstklassig
- Bories vom Berg - 11. Februar 2018
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