PETER
HANDKE
DIE MORAWISCHE
NACHT
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Bilanz
eines verbiesterten Dichterlebens
In «Die morawische Nacht» erzählt Peter Handke
von der selbstkritischen Lebensbilanz eines namenlosen
Ex-Schriftstellers, in der sich zwar etliche Parallelen zum Autor
zeigen, die aber kaum autobiografisch gedeutet werden können. Der
Buchtitel bereits weist mit der Morava als Nebenfluss der Donau auf
den Balkan hin, und so ist denn der Ort der Rahmenhandlung
tatsächlich ein Hausboot, auf das
jener Schriftsteller zu später Stunde sieben Freunde einlädt, um
ihnen, da er ja nicht mehr schreibt, nun eben mündlich von seiner
gerade erst beendeten, langen Reise durch Europa zu berichten.
Überraschend befindet sich auch eine, im
allegorischen Sinn schöne Frau an Bord, die bei der Bewirtung hilft,
deren Beziehung zu dem als frauenfeindlich geltenden Gastgeber aber
im Dunkeln bleibt. Im Laufe der Nacht erzählt nun der «ehemalige
Schriftsteller» den einzeln, an getrennte Tische platzierten
Freunden, alles Männer natürlich, von seiner Reise, auf der er auch
einige der Zuhörer getroffen hat. Die lösen ihn dann ihrerseits
zeitweise als Erzähler ab und berichten von dem gemeinsam Erlebten.
Einer der Gäste unterbricht immer wieder mal als vorlauter
Zwischenrufer den Erzählfluss und stellt Fragen zu unklar
gebliebenen Details. Die mit einem klapprigen, uralten Bus der
österreichischen Post begonnene Reise aus der serbischen Enklave, wo
das Hausboot vor Anker liegt, führt zunächst nach Belgrad. Von dort
geht es weiter auf die fiktive Adriainsel
Cordura, mutmaßlich Krk, wo Handke einst seinen ersten Roman
geschrieben hatte. Nächste Station ist eine gottverlassene Hochebene
in Spanien, wo ein Kongress über Lärm und Geräusche stattfindet. In
Wien gerät der Erzähler zufällig in ein nicht minder merkwürdiges
‹Festival der Mundorgelspieler› aus der ganzen Welt, danach besucht
er das Grab seines Vaters im Harz und fährt nach Kärnten, seiner als
«Stammgegend» bezeichneten Heimat.
Die Rahmenhandlung
dieser nicht nur von der Textmasse her üppigen Erzählung dient als
Vehikel für eine großangelegte, radikale Selbstprüfung des «ehemaligen
Autors» in Form einer
«imaginierten Reportage». Voller Ironie werden dabei in ebenso
lebendigen wie präzisen Bildern, oft phantastisch anmutend, markante
Figuren gezeichnet, geheimnisvolle Orte beschrieben, wundersame
Begebnisse geschildert. Mit vielen Fragezeichen durchsetzt ist diese
handketypisch kleinteilige Prosa in Satzschnipsel zerhackt, üppig
mäandrierend und immer wieder durch Ergänzungen, Zweifel,
Klarstellungen unterbrochen, meist in Klammern gesetzt. Dieses Buch
ist somit auch eine fragmentarische
Erzählung über das Erzählen selbst, versinnbildlicht durch die
ständigen Korrekturen des bereits Gesagten als untrennbar zum
Prozess des Schreibens gehörig. Und bei diesem Prozess kann eine
Frau ja nur stören. Schriftsteller zu sein und Liebhaber in einer
Person, das erscheint somit völlig unmöglich. Es ist zumindest
kontraproduktiv und kann im schlimmsten Fall sogar in Mord und
Totschlag enden. Folglich ist die Frau im Buch nur anfangs in einer
Nebenrolle sichtbar, ansonsten eher kurz mal als Vision, wie auch
ganz am Ende.
Es ist müßig, abzuschätzen, inwieweit diese
Selbstbefragung eines Schriftstellers wirklich nur den ‹ehemaligen›
oder doch auch den nobelpreis-gekrönten Autor selbst betrifft, und
wenn letzteres zutrifft, inwieweit sie ernstgemeint ist. Hier wird,
oft meditativ anmutend, anhand von Erinnerungen, Reflexionen und
präzisen Alltags-Beobachtungen beschrieben, wie einer mit sich
selbst nicht klarkommt. Einer, der sich selbst im Wege steht, der
keinen an sich heranlassen will, für den das Alleinsein höchstes
Glück bedeutet, ein Misanthrop par excellence. Der am Ende seiner
Reise dann auch kein Hausboot mehr vorfindet, alles ist weg. Er ist
nun wunschgemäß völlig mit sich allein, seine Geschichte aber haben
offensichtlich die Freunde aufgeschrieben. Als (selbstironische?)
Bilanz eines verbiesterten Dichterlebens ein intensives
Leseerlebnis!
3*
lesenswert - Bories vom Berg
- 28. Februar 2021
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