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RICARDA HUCH

 

DER FALL DERUGA

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Ricarda Huch - Der Fall DerugaEin Brot-und-Butter Werk

 

«Die erste Frau Deutschlands» nannte Thomas Mann 1924 seine Schriftsteller-Kollegin Ricarda Huch anlässlich ihres 60ten Geburtstages. Im riesigen Œuvre der damals überaus angesehenen und vielfach geehrten Autorin nimmt der 1917 erschienene Roman «Der Fall Deruga» als Kriminalroman eine besondere Rolle auch deshalb ein, weil sie selbst in einem Brief an eine Freundin von einer «Schundgeschichte» sprach, die sie nur des Geldes wegen geschrieben habe. Der Stoff wurde zweimal verfilmt und entspricht so gar nicht den Erwartungen eines Krimilesers, die typischen Ingredienzien dieses literarischen Genres fehlen hier jedenfalls völlig. Wesentlich treffender erscheint mir der Begriff «Gesellschaftsroman» für diese Erzählung, die zwar einen vor dem Schwurgericht München verhandelten Mordfall zum Gegenstand hat, in der jedoch die auftretenden Figuren selbst im Fokus stehen, beispielhaft als typische Vertreter der vor dem Untergang stehenden Gesellschaft jener Zeit.

 

Und so sind denn auch die lebendigen und häufig auch bewertenden Personenschilderungen in diesem Roman das Wesentliche. Der Plot entwickelt sich nämlich aus der weitgehend in Dialogform erzählten Geschichte einer Mordanklage heraus, der sich der italienischstämmige Arzt Deruga gegenübersieht. Er soll seine seit 17 Jahren von ihm geschiedene Ehefrau Mingo aus Habsucht mit dem in Südamerika als Pfeilgift genutzten Curare ermordet haben, um in den Besitz einer beträchtlichen Erbschaft zu kommen. Die wohlhabende Exfrau hatte ihn testamentarisch zum Alleinerben bestimmt, die gemeinsame Tochter war viel zu früh verstorben. Weiteres zu erzählen verbietet sich natürlich bei einem Roman wie diesem, der von seiner Spannung lebt, die sich hier tatsächlich auch idealtypisch zum Ende hin stetig steigert und in einem vorab vom Leser kaum vorhersehbaren Schluss endet. Gleichwohl versteht es die Autorin, dem Leser ein angenehmes Gefühl der Überlegenheit zu vermitteln, weil er immer ein wenig mehr weiß als die meisten Beteiligten der Gerichtsverhandlung, denen sich die komplizierten Zusammenhänge erst allmählich erschließen.

 

Das Figurenensemble, welches wir hauptsächlich vor Gericht in Aktion erleben, repräsentiert die verschiedenen Gesellschaftsschichten des Fin de Siècle vom Bettler und Straßenhändler über die Dienstboten, Handwerker und kleinen Händler bis zur Bourgeoisie und dem niederen Adel. In einer feinfühligen Sprache, in wohl formulierten Dialogen zumeist, entlarvt die Autorin scharfsichtig Standesdünkel, Marotten, Vorurteile und Gesinnungen ihrer Zeitgenossen, die ihr hier als Protagonisten dienen und deren Fehler und Schwächen sie uns verdeutlicht, ohne das man ihr dabei einen ironischen Unterton nachsagen könnte. Zwiespältigste und weitaus interessanteste Figur ist dabei Deruga selbst, ein idealtypischer Gutmensch auf der einen Seite, der aber depressiv veranlagt ist und häufig total aus der Rolle fällt, seine Mitmenschen damit über die Maßen düpierend in seinem Furor auf die Gesellschaft.

 

Ricarda Huch gilt als bedeutende Vertreterin der deutschen Neoromantik mit einer ausgesprochen Vorliebe für Wunderbares und Geheimnisvolles, das sie in einer kunstvoll verfeinerten Sprache erzählt. Die Psyche der Personen ist ihr im vorliegenden Roman wichtiger als die kriminologischen Details ihrer Geschichte oder die juristische Seite eines Prozesses, dessen Verhandlungsführung nicht immer stimmig zu sein scheint, zumindest aus heutiger Sicht. Als Zeitzeugnis konnte ich dem Melodram jedenfalls wenig abgewinnen. Das Ganze wirkt erzählerisch altväterlich, es ist zuweilen maßlos überhöht und regelrecht trivial. Insoweit scheint die selbstkritische Einstufung der Autorin für ihr Werk als «Schundroman» auch nicht ganz unbegründet. Zugutehalten muss man ihr jedoch, dass sie ein auch heute noch ganz aktuell und heftig diskutiertes Grundproblem menschlichen Daseins thematisiert hat, mit einer allzu kitschig ausgefallenen Geschichte allerdings.

 

1* miserabel - Bories vom Berg - 3. Februar 2016

 

 

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Wackeldackel

Die besten Zitate nützen nichts, auch, wenn Sie einen glauben machen sollen, Sie wären ein geistvoller Rezensent. Sie haben in vielem Unrecht. Zuerst, welcher Schriftsteller, zumal wenn er sich ins Krimifach begibt, schriebe nicht des Geldes wegen. Selbst Simenon achtete auf seine Einkünfte und schrieb nicht nur zum Spaß. Die Huch ist eine derart überragende Autorin, dass man ihr die "Fingerübung" eines Kriminalromans nicht ankreiden sollte. Der Fall Deruga ist ein typischer Kriminalfall aus seiner Entstehungszeit. So oder ähnlich von der UFA hundertfach verwendet. Er atmet den Zeitgeist. Nicht umsonst wurde er zwei Mal verfilmt. Warum also die schäbige "Ein Stern"-Bewertung? Haben Sie das kleine Bändchen überhaupt gelesen? Lesen Sie es noch einmal und schauen Sie sich ein paar Filme aus den Vierzigern an, deutsche oder französische, egal. Ich habe den "Fall Deruga" mindestens schon 3 mal gelesen und habe immer wieder größtes Vergnügen daran. Und dann nehme ich mir den "Dreißigjährigen Krieg" der Huch zur Hand und schwebe mit ihr in die höchsten Höhen der historischen Epik... schämen Sie sich @Borux - Sie scheinen mir ein intellektueller Kleingeist zu sein.

 

Antwort

Meine intellektuelle Unbedarftheit lässt sich aus dieser Rezension wohl kaum ableiten, schließlich hat Richarda Huch ihren Roman selbst "Schundgeschichte" genannt, und damit hat sie recht. Rezensionen beziehen sich immer auf das einzelne Buch, nicht auf das gesamte Werk eines Schriftstellers, - eigentlich ja eine Binsenweisheit, aber Sie scheinen sich dessen nicht bewusst zu sein!

 

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