PAUL
LYNCH
DAS LIED DES
PROPHETEN
Ein
politischer Weckruf ohnegleichen
Der irische Schriftsteller Paul Lynch hat für
seinen jüngsten Roman mit dem bibelbezogenen Titel «Das Lied des
Propheten» den Booker Prize des Jahres 2023 gewonnen. Inspiriert
dazu sei er vom Bürgerkrieg in Syrien, von der Flüchtlingskrise
sowie von den auch in Europa zu verzeichnenden Tendenzen zu
anti-demokratischen Regierungs-Formen, »Dieses Buch war nicht leicht
zu schreiben», hat er erklärt, inspirierend dazu sei für ihn ein
Gefühl des fortschreitenden Abgleitens in totalitäre Staatsformen.
Mit der genialen Idee, seinen politisch-dystopischen Roman
ausgerechnet in Europa spielen zu lassen, in seiner Heimat Irland
nämlich, hat er seine Leser radikal aus ihrer politischen
Komfortzone heraus gescheucht. Niemand in Europa könne sicher sein,
so sein Credo, totalitäre Regime seien nur ein Phänomen fernab, auf
anderen Kontinenten dieser Welt.
Bei Familie Stack in Dublin klingelt es eines
abends an der Haustür, und als die Protagonistin des Romans und
vierfache Mutter Eilish öffnet, stehen zwei Männer von der
Geheimpolizei vor ihr, die Larry Stack sprechen wollen, ihren Mann.
Eine geradezu klassische Urszene in allen faschistischen Diktaturen!
Und da er nicht zuhause ist, solle der Generalsekretär der
Lehrer-Gewerkschaft sich baldmöglichst bei ihnen melden. Was Larry
nach einigem Zögern dann auch tut, seither ist er spurlos
verschwunden. Mit der Machtübernahme etabliert die «National
Alliance» als rechtsradikale Partei Irlands eine politische
Tyrannei, vor der niemand mehr sicher ist. fast jeder ist dem Staat
verdächtig, Menschen werden willkürlich aus aberwitzigen Gründen
verhaftet, und die Justiz ist per Notstands-Verordnung praktisch
außer Kraft gesetzt. Es gelten strenge Ausgangssperren, Schulen
werden geschlossen, Hamsterkäufe machen die Regale in den Geschäften
leer. Die promovierte Molekular-Biologin Eilish wird das Opfer von
Sippenhaft, sie verliert aus fadenscheinigen Gründen ihren Job, das
Haus wird verwüstet, ihr Auto demoliert. Der älteste Sohn schließt
sich den Rebellen an, die militärisch das Terror-Regime bekämpfen, -
und auch ihn sieht sie niemals wieder. Als ihr jüngerer Sohn bei
einer Detonation durch Splitter verletzt ins Krankenhaus eingelieret
wird, verschwindet er dort spurlos. Bis sie ihn schließlich, nach
hartnäckiger Suche, in einem Plastiksack liegend in einem
militärischen Leichen-Schauhaus findet, der Körper übersäht von
Folterspuren. Der Schwester von Eilish in Kanada gelingt es
schließlich, sie mit ihren verbliebenen zwei jüngsten Kindern zur
illegalen Ausreise zu bewegen. Ihren demente Vater muss sie
notgedrungen zurücklassen, er lehnt die Emigration strikt ab.
Politischer Extremismus mit den toxischen
Begleit-Erscheinungen einer polarisierten, sich unversöhnlich
gegenüber stehenden und zunehmend gewalttätiger werdenden
Gesellschaft bildet das narrative Gerüst für diese düstere,
deprimierende Geschichte, die aufrüttelnd wirkt. Die Hoffnung der
Protagonistin, Derartiges könne ja in einem EU-Land niemals
passieren, erweist sich als trügerisch. Gerade heute wurde ja in
Österreich ein politisch stramm Rechter mit der Regierungs-Bildung
betraut, wer an die Geschichte des National-Sozialismus zurückdenkt,
ahnt, wohin die Reise dort gehen könnte. Und wenn der vergleichbaren
deutschen Partei eine Mitgliedschaft in der rechtsgerichteten
Fraktions-Gemeinschaft des EU-Parlaments verwehrt wird, spricht ja
auch das Bände!
Die erzählerische Eskalation am Ende des Romans,
als die Menschen verachtende, gefährliche Flucht aus Irland
geschildert wird, beleuchtet nach all den Schrecken auf
eindringliche Weise dann auch noch die Flüchtlings-Problematik, man
ist dafür kaum mehr aufnahmefähig. Andererseits lässt der Autor die
Entstehung seiner politischen Szenerie im Dunklen, obwohl die
Historie dafür ja einige Vorlagen anbietet, auch aus «diesem unseren
Lande» übrigens! Dieser Roman ist über das rein Literarische hinaus
ein politischer Weckruf ohnegleichen für eine unbedarfte
Wählerschaft.
5* erstklassig - Bories
vom Berg - 6. Januar 2025
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