ANIMAL TRISTE
Aus dem Œuvre der Schriftstellerin Monika Maron ist insbesondere der Roman «Animal triste» von 1996 bekannt geworden, nicht zuletzt durch konträre Besprechungen im Feuilleton, dem aber eine fast einmütig positive Beurteilung durch die Leserschaft entgegensteht. Zwei Wörter aus jenem - keinem der üblichen Verdächtigen zuzuordnenden und häufig in abgewandelter Form anzutreffenden - lateinischen Zitat «Post coitum omnia animal triste» bilden den wunderbar deskriptiven Titel dieses Buches. Denn auch hier herrscht stets Tristesse nach dem Beischlaf, glaubt man der Autorin.
«Doch von zwei Dingen schnell beschloss ich eines, dich zu gewinnen oder umzukommen» sagt Penthesilea im Liebeswahn. Es geht um die Kraft der Liebe in diesem Roman, und um deren zerstörerische Wirkung, dieses Kleist-Zitat wird hier zum oft artikulierten Leitmotiv. Die namenlose Ich-Erzählerin, Paläontologin in einem Ostberliner Museum für Naturkunde, erzählt als Greisin im Rückblick von ihrer grenzenlosen Liebe zu Franz, einem Ameisenforscher aus Ulm, den sie unter dem riesigen Skelett eines Brachiosaurus kurz nach dem Mauerfall kennenlernte. Für sie war es die versäumte Jugendliebe, eine Liebe, die einmalig ist, die sie weder erwartet noch gesucht habe, eine Leidenschaft zumal, von der sie bisher nur geträumt hatte. Fortan lautete ihr Credo: «Man kann im Leben nichts versäumen als die Liebe», bedingungslos stürzte sie sich in diese Amour fou und verlor jeden Kontakt zur Realität. Beide waren etwa fünfzig Jahre alt damals, sie hatte eine Ehe hinter sich und den Kontakt zu ihrer einzigen Tochter verloren, er war verheiratet und musste ihre Liaison unbedingt geheim halten, er könne seine Frau nicht verlassen, weil sie «so wenig für ein Unglück trainiert sei». Er hat ihr das gleiche Parfüm geschenkt, das auch seine Frau benutzt, nach gehabtem Coitus fährt er immer pünktlich um halbeins nach Hause und raucht im Auto Pfeife, um verräterische Gerüche zu überdecken. Diese unterschiedliche Art von Liebe, ihre grenzenlose Leidenschaft gegenüber seiner ausschließlich lustgesteuerten Liebe, ist natürlich zum Scheitern verurteilt, die rasende Eifersucht der Protagonistin zerstört am Ende denn auch ihren Liebestraum. Sie entflieht endgültig der Welt, zieht sich in eine Art innere Emigration zurück und lebt völlig isoliert nur noch von der Erinnerung.
Erzählt wird diese eskapistische Geschichte als innerer Monolog, in dem die Heldin die Beziehung zu Franz noch einmal intensiv durchlebt. Wobei hier, ganz im narrativen Stil des unzuverlässigen Erzählens, permanent Wunsch und Wirklichkeit durcheinander geraten. Sie weiß niemals sicher, ob sie etwas tatsächlich gesagt hat oder nur sagen wollte. Aber auch, wie viele Jahrzehnte das alles her ist, weiß sie nicht, sie hat sich geistig völlig aus Zeit und Wirklichkeit herausgelöst. Der sonst meist nüchterne, eher essayistische Stil von Monika Maron ist hier einer einfühlsamen Prosa gewichen, die in einfachster Diktion eindringlich und stimmig von den Ungeheuerlichkeiten der Liebe berichtet, von den inneren Tumulten, die sie auslöst, von der Liebe als Fluch. Eine Handlung ist kaum vorhanden, berichtet wird vielmehr über einen Zustand, den man in seiner Unbedingtheit als Liebeswahn bezeichnen muss. Die Ich-Erzählerin begreift den Sinn ihres Lebens im Nachhinein, aus dem Abstand von Jahrzehnten, einzig und allein im Einssein mit ihren Geliebten.
Der Epochen-Wandel, das Scheitern der DDR, wird in diesem introvertiert angelegten Roman zwar angedeutet, spielt aber nicht wirklich eine Rolle, liefert vor allem auch keine nachvollziehbare Begründung für das Geschehen. Vielmehr wird hier der Frage nachgegangen, was es bedeutet, im Alter zu begehren und, aus Frauensicht, dem Verfall der körperlichen Attraktivität unterworfen zu sein. Es sind zudem Reflexionen über das Alleinsein im Alter, über das Vergessen und das Verdrängen. «Ohne Liebe kein Leben» ist ja Penthesileas Maxime, ein Naturereignis mithin!
3* lesenswert - Bories vom Berg - 30. Dezember 2018
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