DER SCHWEDISCHE REITER
Der zwischen den beiden Weltkriegen recht erfolgreiche österreichische Schriftsteller Leo Perutz konnte 1939, seiner jüdischen Herkunft wegen, seinen Roman «Der schwedischer Reiter» nicht mehr veröffentlichen im Tausendjährigen Reich und geriet, nach dessen vorzeitigem Ende, in Vergessenheit. Inzwischen wurde er wiederentdeckt, dieser Band gehört zu den späten Meisterwerken eines für seine literarisch anspruchsvollen historischen Romane geschätzten Autors. Seine Handlungen seien, wie Egon Erwin Kisch lobte, mit «mathematischer Präzision» ausgearbeitet, - wen wundert’s, war er doch im Hauptberuf Mathematiker. Gleichwohl hat er als «größter magischer Realist unserer Sprache», wie Daniel Kehlmann ihn überschwänglich bezeichnete, seine Stoffe mit phantastischen Zutaten angereichert, die ins Märchenhafte weisen und seinen Geschichten damit eine ganz spezifische Stimmung verleihen.
Trickreich eröffnet Perutz seinen Roman mit einem «Vorbericht», in dem er den Schluss seiner Erzählung aus der Perspektive der Tochter seines Helden schildert und dann anmerkt: «Die Geschichte des ‚schwedischen Reiters’ soll nun erzählt werden». In den Nachwirren des Dreißigjährigen Krieges begegnen sich an einem bitterkalten Wintertag zu Beginn des Jahres 1701 in Schlesien ein berüchtigter Dieb und ein adliger schwedischer Deserteur, beide auf der Flucht vor dem Malefizbaron, ihnen droht der Galgen. In der Hoffnung, den Häschern so zu entgehen, tauschen sie ihre Identität, wobei der Dieb hinterlistig den arglosen Schweden über die wahre Gefahr täuscht. Während der Adlige in einem KZ-ähnlichen Arbeitslager des Bischoffs verschwindet, gelingt es dem Dieb, sich zum Hauptmann einer Bande aufzuschwingen, die als «Gottesräuber» jahrelang die Kirchen plündern. Mit den geraubten Schätzen gelingt es dem Hauptmann dann, als «schwedischer Reiter» auftretend ein herunter gekommenes Landgut zu übernehmen, die Tochter des ehemaligen Gutsherrn zu heiraten und schon bald den dort früher herrschenden Wohlstand wieder herzustellen. Die Idylle endet sieben Jahre später, als seine falsche Identität aufzufliegen droht und der namenlos bleibende Romanheld fliehen muss.
In einem ebenso klug erdachten wie berührenden Showdown endet dieses virtuose Spiel des Autors mit Identitäten. Seine archetypischen Figuren sind glaubhaft, aber zurückhaltend knapp beschrieben, ihr Handeln ist stets nachvollziehbar. Beides lässt dem Leser reichlich Raum für eigene Deutungen. Die Sympathie für die Figuren des Romans nährt sich vor allem auch aus den köstlichen Dialogen, mit denen im Übrigen der Plot auch sehr zielstrebig vorangetrieben wird. Er wird einsträngig und chronologisch in einer wunderbar der Epoche angepassten, ironisch überhöhten, bildreichen Sprache erzählt. Das Erzählte gründet auf eine kruden Moral, die den weitgehend rechtsfreien, barbarischen Zeitläuften jener Epoche entspricht, aber nicht diejenige der christlichen Kirchen ist. Eine blasphemische Traumsequenz des Diebes vor dem Gottesgericht gehört denn auch zu den köstlichsten Passagen dieses Romans. Sehr gekonnt ist auch die Figur des toten Müllers als Mittler zwischen den höheren Mächten und der irdischen Pein in die Geschichte eingebaut, der Roman erhält dadurch ein in die Märchenwelt weisendes magisches Element, passend zum weit verbreiteten Aberglauben jener Zeiten.
Dieser fesselnde Roman erzeugt einen erzählerischen Sog, dem man sich kaum entziehen kann als Leser, egal ob man ihn nun als historischen Roman, als Schelmenroman oder als Liebesroman liest. Dazu trägt im Wesentlichen das hervorragend eingefangene Zeitkolorit bei, aber natürlich auch der wohltuend stimmige Plot, dem man gerne folgt, und last not least dessen hervorragend gelungene sprachliche Umsetzung. Und die Frage schließlich, ob man sein Glück dauerhaft auf einer Schurkerei aufbauen kann, wird hier literarisch in einer Weise aufbereitet, die völlig ohne erhobenen Zeigefinger auskommt. Fürwahr ein rundum gelungener Roman!
5* erstklassig - Bories vom Berg - 28. Januar 2017
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