DIE SCHRECKEN DES EISES UND DER FINSTERNIS
Als literarisches Genre erfreuen sich Reiseerzählungen schon seit der Antike großer Beliebtheit, Fernweh ist das Hauptmotiv dafür. Wobei der besondere Reiz für manchen Leser wohl auch darin bestehen mag, all die Abenteuer und Strapazen solcher Reisen vom bequemen Sessel in der warmen Stube aus miterleben zu können. Der Titel «Die Schrecken des Eises und der Finsternis» von Christoph Ransmayrs frühem Roman, 1984 erschienen, weist überdeutlich auf diesen Zusammenhang hin. Der österreichische Autor ist selbst ein begeisterter Globetrotter, der in seinen Werken Fiktionales und Historisches vermischt und menschliche Grenzerfahrungen thematisiert.
Im Wesentlichen geht es in diesem Buch um die österreichisch-ungarische Polarexpedition von 1872 bis 1874 zur Erkundung der Nordostpassage, dem nördlichen Seeweg zum Pazifik, in deren Verlauf das Franz-Josef-Land entdeckt wurde. Basierend auf diverse, im Original erhaltene Berichte und Tagebücher der Teilnehmer und ergänzt um viele sachliche Informationen über die Arktis und die Geschichte ihrer Erforschung, wird in diesem Handlungsstrang reportageartig über die Geschehnisse während der dramatischen Expedition berichtet. Ausführlich werden dabei viele originale Texte zitiert, kursiv gekennzeichnet, die Verfasser sind jeweils benannt. Der sachbuchartige Eindruck wird durch ergänzenden Tabellen, Zeichnungen und Fotos noch verstärkt, die Sprache ist auffallend nüchtern auch in den Passagen, in denen immer wieder die bizarre Eislandschaft beschrieben wird in ihrer Schönheit, aber auch in ihrer für Menschen lebensbedrohlichen Unwirtlichkeit.
Dieser montageartig gefügte Bericht wird abschnittsweise im Wechsel mit einem zweiten, fiktiven Handlungsstrang erzählt, der hundert Jahre später einen italienischen Abenteurer auf den Spuren der historischen Expedition in die Arktis lockt und ihn dort schließlich mit einem Hundeschlitten im Eis Spitzbergens spurlos verschwinden lässt. Zweifellos eine Farce, deren Motive allerdings undeutlich bleiben, die allenfalls als skurrile Form eines Selbstmords gedeutet werden könnten. In Ergänzung mit diesem fiktionalen Teil ist somit also tatsächlich die vom Autor deklarierte Romanform gegeben, wozu auch beiträgt, dass die historischen Texte von Ransmayr mutmaßlich redigiert wurden. An denen nämlich fällt die geradezu poetische Sprache auf, in der sie verfasst sind und die oft so gar nicht zu den extremen Situationen während ihrer Niederschrift passen will. Wie auch immer, einig sind sich Autor wie auch der historische Expeditionsleiter Weyprecht in ihrer Skepsis, was die Jagd ehrgeiziger Entdecker und Erstbezwinger nach Ruhm anbelangt, allein die wissenschaftliche Erkenntnis rechtfertige alle Mühen und Entbehrungen derartiger Expeditionen. «Die arktische Forschung sei doch zu einem sinnlosen Opferspiel verkommen und erschöpfe sich gegenwärtig in der rücksichtslosen Jagd nach neuen Breitenrekorden im Interesse der nationalen Eitelkeit», lautet ein spätes, skeptisches Fazit Weyprechts.
Die Dramatik dieses historischen Geschehens ist durchaus spannend zu lesen, sowohl was die physischen Herausforderungen einer äußerst feindlichen Umwelt in diesen nördlichen Breiten anbelangt als auch die psychischen Belastungen, denen zwei Dutzend Menschen in einer fast zweijährigen Isolation ausgesetzt sind. Eine ereignislose, entbehrungsreiche Zeit, in der gleichwohl die militärische Hierarchie aufrecht erhalten bleiben muss. Der stilistisch anspruchlose Text ist leicht lesbar und hat mich anfangs in den Schilderungen der menschenfeindlichen Natur überzeugt, die dann leider durch allzu häufige Wiederholungen aber bald langweilig werden. Herzlich wenig konnte ich dem modernen Handlungsstrang abgewinnen, er stört nur den Lesefluss, ohne die Erzählung in irgendeiner Weise wirklich zu bereichern. Ein zwiespältiges Leseerlebnis also, sachlich informativ, den Horizont weitend, in der literarischen Umsetzung aber wenig überzeugend.
2* mäßig - Bories vom Berg - 28. November 2016
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