Das gute Buch Was uns bereichert und erfreut
In seinen berühmten Briefen an Lucillius hat Seneca Grundlegendes dazu schon vor zweitausend Jahren gesagt. Bücher würden eine willkommene Lebenshilfe leisten, indem sie uns wappnen gegen Ängste und Bedrohungen, wobei er insbesondere die Todesfurcht erwähnt. Der Text sei Anlass und Mittel zur Selbstprüfung und Selbsterkenntnis, Karl Jaspers hat diesen Prozess als «Existenzerhellung» bezeichnet. Lesen dient mithin der Horizonterweiterung, es befreit uns aus der Befangenheit unserer subjektiven Perspektive. Seneca fasst die Wirkung des Lesens in die knappe Formel Alit lectio ingenium, «Das Lesen nährt den Geist», - das hatten wir schon mal, wer erinnert sich? Ohne geistige Mitwirkung des Lesers hat Lesen keinen Nutzen, sinnvolles Lesen hat deshalb auch nichts mit Zerstreuung oder Abwechslung zu tun, und schon gar nicht mit Zeitvertreib, wie manche sagen, - ein fürchterliches Wort im Übrigen, wie ich meine, angesichts der Kürze unserer Lebensspanne.
Unser Outdoor-Spezialist im Dienste des guten Buches, Dennis Scheck mit seiner TV-Sendung «Druckfrisch», hat es für sich ganz ähnlich formuliert: «Gut ist ein Buch, wenn es mich bereichert». Dem schließe ich mich vollinhaltlich an, füge aber noch hinzu: «und erfreut». Es gibt nämlich bereichernde Bücher, Herta Müllers «Atemschaukel» sei dafür ein Beispiel, die sind zwar literarisch hochstehend, aber von der Thematik her so unerfreulich und düster, dass man sich ihre Lektüre lieber ersparen sollte, wie ich leidvoll erfahren musste, und da hilft dann auch der Nobelpreis nichts. Unerfreuliches bietet unser Leben ja reichlich, allein schon die täglichen Nachrichten sind vorwiegend so negativ und deprimierend, da muss mir nicht auch noch meine Lektüre die Stimmung vermiesen, - so hedonistisch denke ich nun mal als bekennender Epikureer!
Das intellektuelle Niveau der Geschichte selbst und der sprachlichen Mittel, mit denen sie erzählt wird, reicht von der hohen Literatur bis zum anspruchslosen Schmöker. Der Plot, das Handlungsgerüst einer Erzählung, wird in seiner Bedeutung oft völlig überschätzt, steht aber in der Trivialliteratur absolut im Brennpunkt des Interesses. Die Thematik des Stoffs, seine zeitgeschichtliche Kulisse, das gesellschaftliche Milieu, Ort und Zeit der Handlung sind weitere Kriterien für die Frage, ob ein Buch uns faszinieren kann. Anspruchsvolle Literatur allerdings ist weit mehr auf die sprachlichen Mittel fokussiert, die Handlung tritt da eher in den Hintergrund. Fontane zum Beispiel hat über seinen grandiosen Altersroman «Der Stechlin» geschrieben: «Zum Schluss stirbt ein Alter und zwei Junge heiraten sich; das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht. Alles Plauderei, Dialog, in dem sich die Charaktere geben, mit und in ihnen die Geschichte». Was die sprachlichen Mittel anbelangt sind für Wortwahl, Satzbau oder Sprachrhythmus unendlich viele Gestaltungsmöglichkeiten gegeben, zudem bilden Figurenzeichnung, Detailbeschreibung, Dialogform, Erzählperspektive, raffiniert eingesetzte Leitmotivik und anderes mehr ein reichhaltiges Instrumentarium, dessen sich der Autor virtuos und nahezu grenzenlos bedienen kann, wenn er sein Metier wirklich beherrscht. Ob er uns damit erreicht, ist allerdings eine andere Frage, die jedoch letztendlich im einzelnen Leser begründet ist. Denn es gibt, aus Sicht der Wissenschaft, also ganz emotionslos betrachtet, tatsächlich objektiv gute und schlechte Literatur, gelungene und missratene Prosa, völlig egal, ob sie uns gefällt oder nicht.
Mehr lässt sich dazu aus Lesersicht nicht sagen, und so fasse ich noch mal zusammen: Gut ist eine Erzählung, wenn ihre Geschichte sprachlich gekonnt erzählt ist und sich inhaltlich auf einem möglichst hohen intellektuellen Niveau abspielt. Man sollte es sich als Leser nämlich nicht immer nur leicht machen, sondern öfter mal den Mut haben, ein wenig über seinen Bildungsstand hinauszugehen, Dinge zu lesen, die man vielleicht nicht auf Anhieb versteht, zu denen man emotional nicht immer gleich Zugang findet. Mit der Zeit wächst ja allmählich das Verständnis, es schließen sich die Wissenslücken, man gelangt schon bald in neue Sphären geistigen Erkennens hinein, ist also bereichert im besten Sinne des Wortes.
Das gute Buch ist also nicht die immer wieder gleiche Lektüre, der Krimi oder der Frauenroman zum Beispiel für den Genreleser, der neue Walser-Roman für die Fans dieses Autors, man sollte immer neugierig bleiben und möglichst viel Ungewohntes, Anderes lesen, um seinen Horizont zu erweitern. Meine kurze Liste der Bücher, die man gelesen haben sollte, ließe sich ja beliebig verlängern, mit Günter Grass, Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Wolfgang Koeppen, Uwe Johnson, Arno Schmidt und Anderen mehr gibt es viele berühmte deutschsprachige Romanciers, die auf sehr hohem Niveau geschrieben haben. Hinzu kommen natürlich diverse fremdsprachige Autoren, und in der Postmoderne ist zum Beispiel David Foster Wallace mit seinem berühmten Roman «Unendlicher Spaß» ein literarischer Gigant. Auf diese anerkannten literarischen Eliten sei verwiesen, wenn man ergründen will, was ein gutes Buch ist, man muss sich nur hinsetzen und derartige Romane dann auch mal lesen!
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