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Die tragische Variante
Ein ebenso beliebtes wie unerschöpfliches Thema in der Literatur ist bekanntlich die Liebe. In ihrer schnulzigen Variante mit Happy End gibt es eine nicht abreißende Flut solcher Romane. Unzählig viele von ihnen, mit kitschig buntem Cover zumeist, füllen die Wühltische und Regale des Buchhandels und aller Kioske. Wohlfühl-Literatur also, zu der Rüdiger Safranski in seiner Schiller-Biografie ironisch angemerkt hat: «Da gibt es Erregungen, Phantasien im Verborgenen. Das lesende Frauenzimmer auf dem Sofa, Romane verschlingend, überantwortet es sich nicht verhüllten Exzessen?» Genau das, und daran hat sich wohl auch nach mehr als zweihundert Jahren nichts geändert.
Eindeutig der anspruchsvolleren Literatur vorbehalten ist die tragische Variante dieses Genres, zu dessen Kanon drei klassische Romane aus der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts gehören, deren literarisches Niveau seither unerreicht ist. In der Reihenfolge ihres Erscheinens sind dies «Madame Bovary» von Gustave Flaubert, «Anna Karenina» von Lew Tolstoi und «Effi Briest» von Theodor Fontane. Gemeinsam ist den Protagonistinnen dieser Romane außer den kurzen Vier-Buchstaben-Vornamen der tragische Tod, Emma und Anna begehen Selbstmord, Effi stirbt an krankem Herzen, sie verkümmert regelrecht.
Die Motive sind unterschiedlich, die leidenschaftliche Emma, deren heißes Blut in der berühmten Fiaker-Szene ihren literarischen Höhepunkt findet, leidet an verschmähter Liebe und nimmt Arsen. Anna wirft sich vor den Zug, sie kann zwar ihre große Liebe leben, muss das aber mit einer demütigenden gesellschaftlichen Ächtung als Ehebrecherin bezahlen, sie hat alles, nur die Ehre fehlt zum Glück. Ein Dilemma, das als Anna-Karenina-Prinzip sogar Einzug in die Evolutions-Biologie gehalten hat. Die lebenslustige Effi hat ihren Seitensprung schon mehr als sechs Jahre hinter sich, als ihr Mann Briefe ihres damaligen Liebhabers findet. Soll er den schon so lange zurückliegenden Fehltritt einfach ignorieren, könnte er glücklich weiterleben trotz der Schmach? Oder muss er dem gesellschaftlichen Ehrenkodex genüge tun, will er nicht jede Achtung vor sich selbst verlieren?
Liebe ist wohl, um eine inzwischen geflügelte Redewendung von Effis Vater im Roman Fontanes zu zitieren, «ein zu weites Feld», das weiter zu erörtern sich nicht lohne. Als Basis aller Diskussionen zu diesem brisanten Thema aber lohnt sich umso mehr die Lektüre dieser drei unvergänglichen Meisterwerke, ja sie ist geradezu zwingend!
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