DIE ROTE
Der zweite der vier Romane von Alfred Andersch, erstmals erschienen 1960, trägt seinen Titel «Die Rote» nach der Haarfarbe der Protagonistin, einer 31jährigen Frau auf der Flucht, auf der Suche nach sich selbst, nach innerer Freiheit. Eine wichtige Thematik des Existentialismus, die sich ähnlich auch in anderen Werken dieses ebenso streitbaren wie umstrittenen Autors der deutschen Nachkriegsära findet, literarisch realisiert mit Außenseitern der Gesellschaft als handelnden Figuren.
Da ihr Chef, mit dem sie jahrelang ein Verhältnis hatte, Franziska nicht heiraten wollte, hatte sie Herbert geheiratet, den Exportleiter der Firma. Bei einem gemeinsamen Geschäftstermin in Mailand eskaliert ein Streit der Beiden um die Besichtigung einer Kirche, bei dem Kunstfreak Herbert ihr schließlich die kleinen Freiheiten vorhält, die er ihr doch lasse. «Dass ich mit deinem Chef schlafe, wann immer er es wünscht, das nennst du meine kleinen Freiheiten», entgegnet sie empört, und als sie zudem erwähnt, dass Herbert sie möglicherweise kürzlich erst geschwängert habe, spricht er nur lapidar von einem «Betriebsunfall». Spontan steht sie auf und verlässt ihn, nimmt den nächsten Zug, egal wohin, nur weg! Die attraktive Frau landet ohne Gepäck und mit wenig Geld in Venedig und trifft dort auf verschiedene Männer. «Die Rothaarigen sollen ja schärfer sein als die anderen» heißt es im inneren Monolog eines ihrer machohaften Bewunderer. Aber damit hat sich’s auch schon, soviel vorweg, es geht mitnichten um Amouröses oder gar um Sex in dieser Erzählung, die temporeich einem wahrhaft absurden, vier Tage umfassenden Plot folgt, über den man sich nur wundern kann als Leser.
Zunächst begegnet Franziska Patrick, einem schwulen Iren mit eigener Yacht, der während des Krieges als Spion aufgeflogen ist und vom Gestapomann Kramer durch Folter zum Verrat an anderen Agenten gezwungen wurde. Er habe nun Kramer zufällig in Venedig wieder getroffen, wolle ihn töten und anschließend die Stadt mit seiner Yacht verlassen, er bietet ihr an, ihn zu begleiten. Die beiden Kontrahenten kennen sich und treffen sich sogar, und dabei gerät nun auch Franziska in Gefahr, denn der mafiöse Kramer fürchtet, sie könne ihn bei Interpol anzeigen. Ein zweiter Protagonist, dessen Geschichte im Wechsel mit der Franziskas erzählt wird, ist der ehemalige kommunistische Partisan Fabio, der politisch frustriert aus der KPI ausgetreten ist und nun als Geiger im Theatro La Fenice arbeitet, Franziska trifft ihn auf dem Campanile. Man begegnet ferner einem halsabschneiderischen Juwelier, - ein Jude natürlich -, bei dem die inzwischen finanziell abgebrannte Franziska notgedrungen ihren Brillantring weit unter Preis versetzt. Was dann überraschend – und völlig unlogisch - Kramer auf den Plan ruft, der den Juwelier unter Drohungen dazu bringt, ihr nachträglich einen angemessenen Preis zu zahlen.
Es geht immer weiter so in dieser Kriminal-Groteske, die von einem Klischee-Fettnäpfchen ins nächste stolpert und deren Ende so kitschig war, dass der Autor sich veranlasst gesehen hat, 1972 eine überarbeitete Neufassung herauszugeben, bei der das Ende offen bleibt. Dass oral im Bier zugeführtes Strychnin nicht zum Mord geeignet ist, da man es selbst in extremen Verdünnungen herausschmeckt, ist dem Autor entgangen, es gibt Hanebüchenes mehr. Sprachlich ist der Roman uninspiriert, völlig humorfrei zudem, stilistisch dominieren oft mitten im laufenden Text einsetzende innere Monologe, hier jeweils kursiv abgesetzt, ergänzt noch um in Kleinschrift gesetzte Traumsequenzen. Patrick und Fabio sind als potentielle Gegenspieler unglaubwürdig, und völlig deplaziert ist auch der Kampf zwischen Ratte und Katze, er hat nicht das Geringste mit der Handlung zu tun. «Grauenhaft und kitschig» lautete einst das Verdikt von Marcel Reich-Ranicki, «dass der Roman ‹ein wichtiges Werk der deutschen Nachkriegsliteratur› sei, ist Mumpitz und Humbug». Dem ist meinerseits nichts hinzuzufügen!
1* miserabel - Bories vom Berg - 07. Juli 2017
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